Verein zur Förderung des Arbeitsrechts an der WWU Münster e.V.

 

Das neue Mindestlohnerhöhungsgesetz

Die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro zählt zu den rechtspolitisch umstrittensten und legislatorisch am weitesten fortgeschrittenen Reformvorhaben der neuen Bundesregierung. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat am 20. Januar 2022 seinen „Entwurf eines Gesetzes zur Erhöhung des Schutzes durch den gesetzlichen Mindestlohn (Mindestlohnerhöhungsgesetz – MiLoEG)“ präsentiert. Diesem Entwurf, der inzwischen vom Bundeskabinett beschlossen wurde, widmete sich Professor Dr. Christian Picker von der Universität Konstanz in seinem Vortrag am 14. Februar 2022.

Professor Picker stellte heraus, dass mit dem Mindestlohnerhöhungsgesetz ein Wechsel des vom Gesetzgeber verfolgten Regelungszwecks einherginge. Während die Einführung des Mindestlohngesetzes (MiLoG) im Jahr 2014 vor allem mit der Bekämpfung von „unangemessen niedrigen Löhnen“ gerechtfertigt worden sei, solle der Mindestlohn nach dem nun vorgelegten Gesetzesentwurf eine „angemessene Lebensgrundlage“ sichern. Trotz des Eingriffs in die von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie sei die Schwelle zur Verfassungswidrigkeit hierdurch zwar nicht per se überschritten. Jedenfalls im Niedriglohnsektor sei die originäre Tarifbindung derart gering und die Vertragsparität zulasten der Arbeitnehmer derart gestört, dass es nachvollziehbar sei, dass der Staat von seiner subsidiären Regelungskompetenz Gebrauch mache. Zweckmäßig sei ein gesetzlicher Mindestlohn jedoch nur dann, wenn er nicht zu einer signifikanten Arbeitslosigkeit führe. Jedenfalls in strukturell schwachen Regionen und Branchen seien bei einer Mindestlohnhöhe von 12 Euro Entlassungen zu befürchten, wohingegen bundesweit keine nennenswerte Kündigungswelle zu befürchten sei.

Für problematisch erachtete Professor Picker zudem die demokratische Legitimation der Mindestlohnkommission. Die Mitglieder aus Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden seien zwar honorig, aber nicht ausreichend demokratisch legitimiert. Zudem repräsentierten sie ausgerechnet jene Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die wegen ihrer Tarifbindung regelmäßig nicht vom Mindestlohn betroffen seien. Professor Picker präferierte daher ein Modell, nach dem die Mindestlohnhöhe durch den Deutschen Bundestag festgesetzt werde.

Der Vortrag bot den rund 50 via Zoom zugeschalteten Teilnehmern zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine ausführliche und lebhafte Diskussion. Insbesondere hinsichtlich Legitimation und Geeignetheit der Mindestlohnkommission bildeten sich zwei Meinungsgruppen, die ihre Argumente auf hohem Niveau austauschten. Hinterfragt wurde zudem, ob ein Mindestlohn, der höher sei als zur Vermeidung der Sozialhilfe im Alter erforderlich, verfassungsrechtlich noch gerechtfertigt werden könne.

Zur Person: Prof. Dr. Christian Picker studierte Rechtswissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und an der University of Aberdeen (Schottland). Das Erste Juristische Staatsexamen legte er 2005 in Freiburg, das Zweite Juristische Staatsexamen 2007 in Stuttgart ab. Von 2008-2010 war Christian Picker Justitiar am Universitätsklinikum Freiburg, wissenschaftlicher Angestellter an der Forschungsstelle für Hochschularbeitsrecht bei Prof. Dr. Dr. h. c. Manfred Löwisch und Promotionsstipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes. 2011 erfolgte die Promotion zum Dr. iur. durch die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg mit der Schrift „Die betriebliche Übung“. Von 2011-2017 war Christian Picker Habilitand, Stipendiat und wissenschaftlicher Angestellter am Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR) an der Ludwig-Maximilians-Universität München bei Prof. Dr. Volker Rieble. Am 14.12.2017 erfolgte seine Habilitation mit der Schrift „Genossenschaftsidee und Governance“ durch die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München, die ihm die Lehrbefähigung für die Fächer Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht verlieh. Seit 1.7.2018 ist Christian Picker Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Unternehmensrecht an der Universität Konstanz.